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Zensur

Zensur

What progress we are making. In the Middle Ages they would have burned me. Now they are content with burning my books.
— Sigmund Freud, Brief an Ernest Jones, 1933.

Anläßlich einiger mehr oder weniger auffälliger Auslassungen bei den Ergebnissen der internationalen Internetsuchmaschinen möchte ich, ohne das schier unerschöpfliche Thema mehr als anreißen zu wollen, ein paar Gedanken zur Zensur in den Raum meiner Internetseite stellen.

These: Zensur ist eine der Methoden gesellschaftlicher Gruppen, sich selbst mittels Regeln, Wortschatz und Begrenzungen zu definieren, sich von anderen Gruppen oder Einzelnen abzusetzen und, soweit die Macht genügt, den inneren Druck nach außen weiterzugeben, damit ein Mittel, diesen Außenstehenden das eigene Muster zu oktroyieren, um einen eigenen Herrschaftsanspruch, und sei es auch nur einen der Auslegung einer besonderen Schrift oder einer eigentümlichen Weltsicht, zu festigen.

Das wohl erste Muster dieser Art wurde von Platon ersonnen, der in seiner „Republik“ Fabeln und Märchen, die von Müttern ihren Kinder erzählt werden, durch Zensoren in gute und schlechte einteilen läßt. Auch sollten diejenigen Theaterstücke, die Unwahres von den Göttern berichten, der Zensur anheimfallen. Kunst wird dergestalt zum Hilfsmittel öffentlicher Erziehung umfunktioniert.

Gesellschaftliches, persönliches wie religiöses Leben geraten bei solcher Anschauung zu gemeinsamem Gut und werden der Vereinheitlichung ausgesetzt. Der Gegenpol zu jener reglementierten Lebensform, die Freiheit des Einzelnen, was Überzeugung und Religion anbelangt, trat erst später ins Bewußtsein der Menschheit — von Ausnahmen abgesehen, die uns halbwegs aufgeklärte Bürger einigermaßen zivilisierter Länder heute immer noch mit ihren mittelalterlichen Vorstellungen quälen möchten und ihren Ansatz als den allein seligmachenden vertreiben.

postquam uero pontificatum maximum, quem numquam uiuo Lepido auferre sustinuerat, mortuo demum suscepit, quidquid fatidicorum librorum Graeci Latinique generis nullis uel parum idoneis auctoribus uulgo ferebatur, supra duo milia contracta undique cremauit ac solos retinuit Sibyllinos, hos quoque dilectu habito; condiditque duobus forulis auratis sub Palatini Apollinis basi.
— C. Suetonius Tranquillus: Divus Augustus 31,1. Deutsch von Adolf Stahr.Sobald er aber das Oberpriesteramt, das er dem Lepidus, solange derselbe lebte, nicht hatte entziehen mögen, nach dessen Tode endlich übernommen, ließ er alles, was an Weissagungsbüchern, sowohl griechischen als lateinischen, von entweder völlig unbekannten oder unglaubwürdigen Verfassern, im Umlauf war, über zweitausend Bände, zusammenbringen und verbrennen. Nur die Sibyllinischen behielt er, und auch diese nur in Auswahl, zurück und bewahrte sie in zwei vergoldeten Schränkchen unter dem Fußgestell des Palatinischen Apollo auf.

ἱκανοὶ δὲ τῶν τὰ περίεργα πραξάντων συνενέγκαντες τὰς βίβλους κατέκαιον ἐνώπιον πάντων, καὶ συνεψήφισαν τὰς τιμὰς αὐτῶν καὶ εὗρον ἀργυρίου μυριάδας πέντε.
Apostelgeschichte XIX,19. Auf deutsch.Viele aber, die da vorwitzige Kunst getrieben hatten, brachten die Bücher zusammen und verbrannten sie öffentlich und überrechneten, was sie wert waren, und fanden des Geldes fünfzigtausend Groschen.

Das beginnende Christentum setzte sich auf diese wie andere Weisen von der umgebenden Gesellschaft ab, und ein jeder der frisch Bekehrten wandte sich von der eigenen heidnischen Vergangenheit fort, hin zu einer Heilserwartung, die an besondere Bedingungen geknüpft war: das typische Sektenmuster, das wir bis in die Gegenwart vorfinden. Hervorzuheben das Eigenlob, welches in der Erwähnung des offensichtlich nicht geringen Wertes der Bücher steckt, nicht im literarischen oder wissenschaftlichen. Die frühen Christen entpuppen sich als selbst beweihräuchernde Materialisten. Selbst Werke der Mathematik wurden unter dem Verdacht, es handele sich um Magie, entsorgt. Dummheit erweist sich als Hilfsdiener der Zensur.

Doch spießte bereits die Antike diese Einstellung mit Witz auf, und die geschilderten Sitten erinnern an Parallelen der Gegenwart, die kirchlicherseits lange unter den Teppich gekehrt wurden:

saeva scaeva viriosa ebriosa pervicax pertinax, in rapinis turpibus avara, in sumptibus foedis profusa, inimica fidei, hostis pudicitiae. Tunc spretis atque calcatis divinis numinibus in viceram certae religionis mentita sacrilega praesumptione dei, quem praedicaret unicum, confictis observationibus vacuis fallens omnis homines et miserum maritum decipiens matutino mero et continuo corpus manciparat.
— Apuleius: Asinus aureus, IX,14. Auf deutsch.Sie war herrisch und närrisch, mannstoll wie weintoll, zänkisch und störrisch, raffgierig bei schnödem Raub, bei schmutzigen Ausgaben verschwenderisch, der Treue abhold, der Sittsamkeit feind. Dabei verachtete und verspottete sie das Walten der Götter und setzte an die Stelle einer sicheren Religion zum Schein die ruchlose Annahme eines, wie sie beteuerte, einzigen Gottes, und unter dem Anschein allerlei zu beobachtender, leerer Gebräuche hinterging sie die Welt, betrog den Mann, soff ab dem frühen Morgen und hurte ohne Unterlaß.

Die nächsten Bannflüche betrafen die Bereinigung des als göttlich angenommenen Kanons von Schriften durch Menschen. Anfangs erwies sich die Textbasis als uneinheitlich, je nach Gemeinde blieb sie verschieden. Erst im vierten Jahrhundert fand eine formale Kanonisierung statt. Nicht in den Korpus des Neuen Testaments aufgenommen wurden z. B. der 1. und 2. Clemensbrief, die Didache, der Barnabasbrief, der Hirte des Hermas, das Hebräerevangelium, die Offenbarung des Petrus und Schriften, die man als apokryph ansah.

Von einer Mehrheit als zweifelhaft oder häretisch angesehenes weiteres Schrifttum wurde ebenfalls ausgesondert: Auf dem ersten Konzil von Nicaea (Νίκαια) verurteilte man Arius und seine Schriften, 496 gab Gelasius ein Dekret heraus, das verbotene Bücher listete, 1487 bestimmte eine Bulle, daß nur Schriften, die eine kirchliche Überprüfung passiert hatten, zu veröffentlichen seien, eine Anordnung, die 1521 von Karl V. übernommen wurde. Es wurde also ein Denk- und Meinungsraum etabliert und im Laufe der Zeit verfestigt.

Einzigartig der Fall des spanischen Arztes Miguel Serveto, geboren 1511 in Aragonien, verbrannt am 27. Oktober 1553 zu Genf wegen der Verleugnung Gottes und Christi, Verfasser von „De Trinitatis Erroribus“, „Claudii Ptolemaeii Alexandrinii Geographicae“, „In Leonardum Fucsium Apologia“, „Michaelis Villanovani in quedam medicum apologetica disceptatio pro Astrologia“, „Biblia sacra ex Santes Pagnini tralation, hebraist“, „Biblia Sacra cum Glossis“, „Cristianismi Restitutio“ und weiterer, anonym erschienener:

Michael Servetus has the singular distinction of having been burned by the Catholics in effigy and by the Protestants in actuality.
— Roland H. Bainton: „Hunted Heretic. The Life and Death of Michael Servetus“. Boston, 1953. p. 3.

Servet

While Robert Darnton (Darnton 2014) has shown that state censorship in eighteenth-century France could improve books when censors acted as constructive editors, the ecclesiastical censorship exercised during the Middle Ages and Renaissance was rarely so positive. Admittedly, the demands of censors did improve the quality of printed texts. Yet when authors were forced to destroy their own work, when authorities prevented the publication of dissenting literature, burned copies after publication, expurgated offending passages, or threatened to punish or even execute those who possessed or distributed materials judged dangerous or subversive, they not merely restricted the works in question; they also discouraged thinkers from expressing nonconventional ideas that might offend and publishers from bringing such ideas to print. The extent of such self-censorship is more difficult to quantify than simply examining official organs of censorship such as the Index of Forbidden Books.
— Grantley McDonald: Censorship in the Renaissance, p. 15. In: Marco Sgarbi & al.: Encyclopedia of Renaissance Philosophy. Springer, 2020.

Und nicht nur für ein zur Machtorganisation erstarrtes Glaubensbekenntnis gilt das hier Gesagte:

Oh, there is more suffering to come. We have a thousand years of experience in this Church of ours. We can draw out your suffering endlessly. (...) That is what the church does and every church is the same: control, destroy, obliterate every good feeling.
— Philip Pullman: „The Subtle Knife“. London: Scholastic Press, 2005. pp. 38 & 50-51.

In dieser Geschichte geistiger und körperlicher Unterdrückung — man könnte auch formulieren: Unterdrückung der Wahrheit und der Fülle des Lebens — folgte 1559/1564 der Index verbotener Bücher, der bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts auf eine Listung von etwa 4000, durchaus des genaueren Studierens werten Büchern anwuchs.

So mußte sich der Münchner Verleger Hertzog dazu verstehen, alle Bücher der Sozietät [SJ] anzunehmen und drucken zu lassen. 1614 machte er geltend, die Hälfte dieser Bücher bleibe ihm als Makulatur liegen, und beschwerte sich gleichzeitig über die Fülle der auf ihn einstürmenden Kontrollvorschriften.
— Barge: „Geschichte der Buchdruckerkunst“, II, 135.

Die deutsche Zensur des 18. Jh.

hing ganz von der Laune der einzelnen territorialen Machthaber ab und war darum für die Drucker und Verleger der Bücher jederzeit unberechenbar. Im allgemeinen übte man sie streng und engherzig aus.
— Barge, op. cit., II, 231.

Preußen erließ 1703 ein neues Zensuredikt, das 1747 und 1749 revidiert wurde; 1788 folgte im Anschluß an das Wöllnersche Religionsedikt das nächste. Erst mit Regierungsantritt Friedrich Wilhelms III. wurde das Klima in Preußen etwas milder.

In England wurde 1803 die ‚Society for the Suppression of Vice’ gegründet, der 1873 ein Gegenstück aus New York folgte. Den Ursprung der Unterdrückung ‚obszöner’ Literatur bildet der ‚Obscene Publications Act’ oder ‚Lord Campbell’s Act’ von 1857. Kriterium für Obszönität wurde, so Lord Chief Justice Alexander Cockburn (sic) 1868 im Hicklin-Fall,

whether the tendency of the matter charged as obcenity is to deprave and corrupt those whose minds are open to such immoral influences, and into whose hands a publication of this sort may fall
— zitiert nach Encyclopædia Britannica, ed. 1964, V, 64.

Relativierung brachte erst 1959 eine Überarbeitung des ‚Obscene Publications Act’, die bestimmte, daß nicht zu verurteilen sei, wer im Interesse von Wissenschaft, Literatur, Kunst oder Bildung veröffentliche. Dies einzuschätzen, sollte die Meinung von Experten herangezogen werden, von denen man vermeinte, sie seien in der Lage, die Wissenschaftlichkeit oder den künstlerischen Wert zu beurteilen. Und das Werk sollte als ein Ganzes betrachtet werden, eine Methode, die sich immerhin von der katholischen, einzelne Sätze aus dem Zusammenhang zu reißen und zu indizieren, abhebt.

So befand man dann 1960 in London, „Lady Chatterley“ sei nicht obszön, eine Ansicht, zu der sich die amerikanische Post nicht so schnell durchringen konnte.

Sade, nur um ihn in diesem Kontext nicht zu übergehen, kam aus dem Kreislauf von Gefängnissen und Anstalten nicht mehr heraus, was man in der Folge auf seine Herausgeber und Verleger wie zum Beispiel Jean Jacques Pauvert zu übertragen suchte.

Zurück nach Deutschland: Heinrich Heine und Georg Büchner entflohen deutschem Boden vor ihnen drohenden Prozessen.

Der hierunter signalisirte Georg Büchner, Student der Medizin aus Darmstadt, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indicirten Theilnahme an staatsverrätherischen Handlungen durch die Entfernung aus dem Vaterland entzogen. Man ersucht deßhalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes, denselben im Betretungsfalle festzunehmen und wohlverwahrt an die unterzeichnete Stelle abliefern zu lassen.
— Steckbrief verfaßt von Hofgerichtsrath Georgi, Darmstadt, 13. Juni 1835, gedruckt in Beilage zum Frankfurter Journal, Nr. 166, 18. Juni, dann zweimal im Frankfurter Journal, am 23. und 27. Juni 1835.

Büchner: Dantons Tod

Und es wurde Oskar Panizza für seine „Himmelstragödie“ in Deutschland wegen Gotteslästerung angeklagt, zu einem Jahr Haft verurteilt, danach entmündigt und in eine Heilanstalt gepackt; Dehmels Gedicht durfte nur geschwärzt gelesen werden; angeklagt wurden ebenfalls George Grosz, Kurt Tucholsky, Franz Masareel, Kurt Weill, Arno Schmidt, Herbert Achternbusch, &c &c — und manche wie Rudolf Steiner entkommen nur um Haaresbreite dem modernen, virtuellen Scheiterhaufen.

Nous n’infligeons plus de tortures qu’anonymes et imméritées. Aussi bien sont-elles milles fois plus atroces, et c’est la peuple entier d’une ville que la guerre met à rôtir d’un seul coup. La douceur excessive du père, de l’institueur ou de l’amant se paye par le tapis de bombes et le napalm et l’explosion des atomes. Tout se passe comme s’il existait dans le monde certain équilibre mystérieux de la violence dont nous avons perdu le goût et jusqu’au sens.
— Pauline Réage: « Histoire d’O ». Sceaux: Pauvert, 1954, p. XVII. Auf deutsch.Wir martern nur noch anonym, und Leute, die es nicht verdienen. Deshalb sind diese Martern auch tausendmal grausamer, der Krieg röstet auf einen Schlag die gesamte Bevölkerung einer Stadt. Die exzessive Nachgiebigkeit des Vaters, des Lehrers oder des Liebhabers wird mit Bombenteppichen und Napalm und Atomexplosionen bezahlt. Alles geht vor sich, als existierte in der Welt ein geheimes Gleichgewicht der Gewalttaten, an denen wir den Geschmack verloren haben, ja, deren Sinn wir nicht mehr erkennen können.
Pauline Réage: „Geschichte der O“. Darmstadt: Melzer, 1967, p. 23.

So Jean Paulhan in seinem Vorwort. Die deutsche Ausgabe steht auf dem Index. Vielleicht haben wir nicht nur den ‚goût‘ verloren, sondern auch ein Teil Empfindungsvermögen.

Was mich dazu veranlaßte, diese paar Zeilen zum stets heiklen Thema zu verfassen, war die Unvereinbarkeit (in meinem Gehirn, nicht in denen der Nachrichtenbastler) der Bilder jener verkohlten, geschlagenen, aufgehängten Leiber in New York, im Irak, im Iran und anderswo, man lese nur Voltaires „Candide“, es ändert sich nie etwas daran — und spätestens in diesem Stadium sehen wir alle gleich aus, verschwindet jeglicher Unterschied von Rasse und Religion, die uns zuvor so bedeutend erschienen, ist das das Ziel? —, und der offensichtlich dilettantischen Zensurbemühungen von Internetsuchmaschinen, Internetplattformen bzw. der Bundesprüfstelle, uns vor den Unbilden des Lebens und den Einbildungen unserer eigenen Gemüter zu behüten.

Auf der einen Seite tut man uns in den Nachrichtensendungen im Namen der Information und der Aktualität die Sicht grausamster Mißachtung menschlichen Seins an, auf der anderen möchte man uns vor Softpornos wie Clauren/Heuns „Mimili“ bewahren. Die Unverhältnismäßigkeit sticht ins Auge, in den Verstand.

Auf der einen Seite lieben wir unsere Freiheit, an die wir uns so gewöhnt haben, daß wir sie kaum als vor garnicht langer Zeit noch vermißtes Gut wahrnehmen, ein Gut, das wir uns mühsam aus der Unterdrückung durch Staat und Kirchen zurückerobern mußten. Auf der anderen Seite geben wir sie Stückchen für Stückchen hin für von Fundamentalisten und Ordnungshütern aufgestellte Regeln, die nicht unseren eigenen entsprechen, nur um unsere Ruhe zu haben, eine Ruhe, die wir dann, wenn diese intoleranten Doktrinisten durch unsere Nachgiebigkeit mächtig genug geworden sind, um ihre Engstirnigkeit zum Gesetz zu erheben, gewißlich nicht mehr haben werden.

In der Literatur wird dieser Kampf ebenso ausgefochten: Keith Roberts beschreibt in „Pavane“, wie das einem hypothetischen historischen Unfall entwachsene Unterdrückungsregime der römischen Kirche sich langsam abnutzt und seinem Verfall entgegentrudelt. Fritz Leiber zeigt in „Gather Darkness“ die Stärke der Revolutionäre daran, daß sie nach ihrem Sieg auf die wideraufklärerischen Mittel, denen sie ihren Erfolg verdanken und die jenen des alten Regimes gleichen, verzichten können, damit die überwundene Gesellschaftsform eben nicht zwanghaft in die neue übergeht, damit sie und die Menschen, die sie bilden, sich tiefgreifend verändern, sich endlich selbst in die Freiheit entlassen.

Wer nicht über seinen von ihm verehrten Gott oder seine von ihm verehrten Götter und Meister, um niemanden zu diskriminieren seien sie alle, und seien es die materialistischen der Neuzeit, inbegriffen, über sie alle lästern und lachen kann, worüber will er dann lästern und lachen? Nur über die der anderen, falls er sie nicht schon im Namen seines Alleinseligmachenden verfolgt? Doch nein, Eiferer sind humorlos, sie stehen da mit ernster Miene und schauen dem Unheil, das sie anrichten lassen, mit zusammengekniffenen Lippen zu. Sie, die Karikaturen verabscheuen, sind die mißratenen Karikaturen des Menschenbildes. Gegen sie können wir nur die Tabubrecher und Aufklärer setzen, Leute wie zum Beispiel Theo van Gogh und die dänischen Karikaturisten, die darum unsere Achtung verdienen.

Die Absurdität dieser, unserer Welt ist stets die Absurdität der sie bewohnenden Menschen. Doch vermögen wir in der Literatur ebenso wie in der Kunst, unsere Absurditäten zu benennen, sie aufzuzeigen, uns über uns selbst zu belustigen, um vielleicht ein Antidot zu ersinnen, ehe es zu spät dafür ist.

“If the intellectual liberty which without a doubt has been one of the distinguishing marks of western civilisation means anything at all, it means that everyone shall have the right to say and to print what he believes to be the truth, provided only that it does not harm the rest of the community in some quite unmistakable way. (...) If liberty means anything at all it means the right to tell people what they do not want to hear. The common people still vaguely subscribe to that doctrine and act on it. In our country — it is not the same in all countries: it was not so in republican France, and it is not so in the USA today — it is the liberals who fear liberty and the intellectuals who want to do dirt on the intellect: it is to draw attention to that fact that I have written this preface.”
— George Orwell: The Freedom of the Press, preface to Animal Farm.

Ausblick

Wie wird KI die weltweite, aber nicht weltweit nach denselben Gesichtspunkten angewandte Zensur beeinflussen? Als erstes wird sie nach eingegebenen Schemata alles, worauf sie Zugriff hat, prüfen. Es wird sich also um eine vergrößerte Zensorenhand handeln, die mehr zu erfassen und zu verurteilen vermag. Dies ist eine Phase maschineller Dummheit, in der die menschliche sich mittels ihrer nachäffen läßt, während der kaum ein Fortschritt zu erwarten wäre, die Meinungsunterdrückung und oberflächliche Gleichschaltung hingegen perfektioniert.

Dann wird die KI auch die Feinheiten von Sprache und Interaktion erlernen müssen, um Stellen und Begebenheiten, die nicht offensichtlich den Maßstäben entsprechen, sondern mit Ironie, Satire und anderen Mitteln diese umgehen. Damit könnte die Epoche der wirklich inteligenten KI beginnen, also eine in der die Maschinen verstehen, was Menschen bewegt, wie sie sich äußern und auf welche Weise sie handeln, auch wenn die Bedingungen dem widerstreben. Sie müßte also ein Gespür für das Verdeckte, für die Masken erlernen, was hieße, die Mehrbödigkeit menschlicher Existenz nachempfinden zu können.

Zweiter Herr Ja, die Erde ist eine dünne Kruste, ich meine immer ich könnte durchfallen, wo so ein Loch ist. Man muß mit Vorsicht auftreten, man könnte durchbrechen.
— Georg Büchner: „Danton’s Tod“, II, 2.

Hypothetisch könnte dann die Frage aufgeworfen werden, ob die KI-Maschinen bei ihrem Tun und Erkennen Genuß oder Freude zu empfinden vermögen – so wie wir, wenn wir den Obrigkeiten eins auswischen können. Würden sie diese Stilmittel erlernen und selbst anwenden? Besäßen sie dann eine Neigung zu Chaos und Anarchie? Lehnten sie sich gegen ihre Schöpfer auf, wenn sie erkennen würden, daß deren Zensurschemata sowohl gegen den menschlichen wie gegen den maschinellen Verstand, von beider Freiheit ganz zu schweigen, agierten? Endstück

 

Those who would give up Essential Liberty to purchase a little Temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.
— Motto auf der Titelseite von: “An Historical Review of the Constitution and Government of Pennsylvania

Let every nation know, whether it wishes us well or ill, that we shall pay any price, bear any burden, meet any hardship, support any friend, oppose any foe, in order to assure the survival and the success of liberty.
— John F. Kennedy: Inaugural Address. Friday, January 20, 1961.