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Georg Büchner: Danton’s Tod

Georg Büchner Danton’s Tod

« Ce brave George est enthousiaste de liberté »

Georg Büchner:

Danton’s Tod. Ein Drama in 3 Akten.

New York: [Titelblatt:] „John Oehler, Steam Printer, 22 & 24 North William Street“ für [Umschlag:] „Im Verlage von W. L. Rosenberg, 172 First Avenue“, 1886.

Sedecimo. 152 × 111 mm. 92, [4] Seiten.

Bedruckte roséfarbene Original-Broschur.

Mit einem Nachwort auf den Seiten 89-92, das der Rezension Karl Gutzkows im „Phönix“ vom 11. Juli 1835 entstammt. Handschriftliche Korrekturen Büchners in zwei Widmungsexemplaren der 1835 bei Sauerländer erschienenen Bucherstausgabe sind eingearbeitet. Der hessische Gassenton z. B. des Henkerslieds der Schlußszene (hier p. 88) ist in der vorliegenden Ausgabe, im Gegensatz zu der 1850 von Ludwig Büchner herausgegebenen, erhalten geblieben, jedoch nicht die hessischen Mundart z. B. im ersten Akt, Szene „Eine Gasse“ (hier Seite 10), wo es hier hochdeutsch heißt: „Alle schreien: Todtgeschlagen, todtgeschlagen!“ So mag dem New Yorker Herausgeber weitgehend die 1879 von Karl Emil Franzos in seiner ersten kritischen Gesamtausgabe vorgelegte Textfassung als Grundlage seiner Taschenausgabe gedient haben.


Die zweite Abbildung zeigt eine um 1835 entstandene Zeichnung von Alexis Muston (1810 – 1888), die dritte den Steckbrief vom 13. Juni 1835.
 


 

Payne. So komm, Philosoph Anaxagoras, ich will dich katechisieren. – Es gibt keinen Gott, denn: Entweder hat Gott die Welt geschaffen oder nicht. Hat er sie nicht geschaffen, so hat die Welt ihren Grund in sich, und es gibt keinen Gott, da Gott nur dadurch Gott wird, daß er den Grund alles Seins enthält. Nun kann aber Gott die Welt nicht geschaffen haben; denn entweder ist die Schöpfung ewig wie Gott, oder sie hat einen Anfang. Ist letzteres der Fall, so muß Gott sie zu einem bestimmten Zeitpunkt geschaffen haben, Gott muß also, nachdem er eine Ewigkeit geruht, einmal tätig geworden sein, muß also einmal eine Veränderung in sich erlitten haben, die den Begriff Zeit auf ihn anwenden läßt, was beides gegen das Wesen Gottes streitet. Gott kann also die Welt nicht geschaffen haben. Da wir nun aber sehr deutlich wissen, daß die Welt oder daß unser Ich wenigstens vorhanden ist, und daß sie dem Vorhergehenden nach also auch ihren Grund in sich oder in etwas haben muß, das nicht Gott ist, so kann es keinen Gott geben. Quod erat demonstrandum.
 
Chaumette. Ei wahrhaftig, das gibt mir wieder Licht; ich danke, danke!
 
Mercier. Halten Sie, Payne! Wenn aber die Schöpfung ewig ist?
 
Payne. Dann ist sie schon keine Schöpfung mehr, dann ist sie eins mit Gott oder ein Attribut desselben, wie Spinoza sagt; dann ist Gott in allem, in Ihnen, Wertester, im Philosoph Anaxagoras und in mir. Das wäre so übel nicht, aber Sie müssen mir zugestehen, daß es gerade nicht viel um die himmlische Majestät ist, wenn der liebe Herrgott in jedem von uns Zahnweh kriegen, den Tripper haben, lebendig begraben werden oder wenigstens die sehr unangenehmen Vorstellungen davon haben kann.
 
Mercier. Aber eine Ursache muß doch da sein.
 
Payne. Wer leugnet dies? Aber wer sagt Ihnen denn, daß diese Ursache das sei, was wir uns als Gott, d. h. als das Vollkommne denken? Halten Sie die Welt für vollkommen?
 
Mercier. Nein.
 
Payne. Wie wollen Sie denn aus einer unvollkommnen Wirkung auf eine vollkommne Ursache schließen? – Voltaire wagte es ebensowenig mit Gott als mit den Königen zu verderben, deswegen tat er es. Wer einmal nichts hat als Verstand und ihn nicht einmal konsequent zu gebrauchen weiß oder wagt, ist ein Stümper.
 
Mercier. Ich frage dagegen: kann eine vollkommne Ursache eine vollkommne Wirkung haben, d. h. kann etwas Vollkommnes was Vollkommnes schaffen? Ist das nicht unmöglich, weil das Geschaffne doch nie seinen Grund in sich haben kann, was doch, wie Sie sagten, zur Vollkommenheit gehört?
 
Chaumette. Schweigen Sie! Schweigen Sie!
 
Payne. Beruhige dich, Philosoph! – Sie haben recht; aber muß denn Gott einmal schaffen, kann er nur was Unvollkommnes schaffen, so läßt er es gescheuter ganz bleiben. Ist's nicht sehr menschlich, uns Gott nur als schaffend denken zu können? Weil wir uns immer regen und schütteln müssen, um uns nur immer sagen zu können: wir sind! müssen wir Gott auch dies elende Bedürfnis andichten? – Müssen wir, wenn sich unser Geist in das Wesen einer harmonisch in sich ruhenden, ewigen Seligkeit versenkt, gleich annehmen, sie müsse die Finger ausstrecken und über Tisch Brotmännchen kneten? aus überschwenglichem Liebesbedürfnis, wie wir uns ganz geheimnisvoll in die Ohren sagen. Müssen wir das alles, bloß um uns zu Göttersöhnen zu machen? Ich nehme mit einem geringern Vater vorlieb; wenigstens werd ich ihm nicht nachsagen können, daß er mich unter seinem Stande in Schweineställen oder auf den Galeeren habe erziehen lassen.
Schafft das Unvollkommne weg, dann allein könnt ihr Gott demonstrieren; Spinoza hat es versucht. Man kann das Böse leugnen, aber nicht den Schmerz; nur der Verstand kann Gott beweisen, das Gefühl empört sich dagegen. Merke dir es, Anaxagoras: warum leide ich? Das ist der Fels des Atheismus. Das leiseste Zucken des Schmerzes, und rege es sich nur in einem Atom, macht einen Riß in der Schöpfung von oben bis unten.
 
Mercier. Und die Moral?
 
Payne. Erst beweist ihr Gott aus der Moral und dann die Moral aus Gott! – Was wollt ihr denn mit eurer Moral? Ich weiß nicht, ob es an und für sich was Böses oder was Gutes gibt, und habe deswegen doch nicht nötig, meine Handlungsweise zu ändern. Ich handle meiner Natur gemäß; was ihr angemessen, ist für mich gut und ich tue es, und was ihr zuwider, ist für mich bös und ich tue es nicht und verteidige mich dagegen, wenn es mir in den Weg kommt. Sie können, wie man so sagt, tugendhaft bleiben und sich gegen das sogenannte Laster wehren, ohne deswegen ihre Gegner verachten zu müssen, was ein gar trauriges Gefühl ist.
 
Chaumette. Wahr, sehr wahr!
 
Hérault. O Philosoph Anaxagoras, man könnte aber auch sagen: damit Gott alles sei, müsse er auch sein eignes Gegenteil sein, d. h. vollkommen und unvollkommen, bös und gut, selig und leidend; das Resultat freilich würde gleich Null sein, es würde sich gegenseitig heben, wir kämen zum Nichts. – Freue dich, du kömmst glücklich durch: du kannst ganz ruhig in Madame Momoro das Meisterstück der Natur anbeten, wenigstens hat sie dir die Rosenkränze dazu in den Leisten gelassen.
 
Chaumette. Ich danke Ihnen verbindlichst, meine Herren!
— III,i
 

Philippeau. Was willst du denn?
Danton. Ruhe.
Philippeau. Die ist in Gott.
 
Danton. Im Nichts. Versenke dich in was Ruhigers, als das Nichts und wenn die höchste Ruhe Gott ist, ist nicht das Nichts Gott? Aber ich bin ein Atheist. Der verfluchte Satz: etwas kann nicht zu nichts werden! und ich bin etwas, das ist der Jammer! Die Schöpfung hat sich so breit gemacht. Da ist nichts leer, Alles voll Gewimmels. Das Nichts hat sich ermordet, die Schöpfung ist seine Wunde, wir sind seine Blutstropfen, die Welt ist das Grab worin es fault. Das lautet verrückt, es ist aber doch was Wahres daran.
 
Camille. Die Welt ist der Ewige Jude, das Nichts ist der Tod, aber er ist unmöglich. Oh nicht sterben können, nicht sterben können, wie es im Lied heißt.
 
Danton. Wir sind Alle lebendig begraben und wie Könige in drei oder vierfachen Särgen beigesetzt, unter dem Himmel, in unsern Häusern, in unsern Röcken und Hemden. Wir kratzen 50 Jahre lang am Sargdeckel. Ja wer an Vernichtung glauben könnte! dem wäre geholfen. Da ist keine Hoffnung im Tod, er ist nur eine einfachere, das Leben eine verwickeltere, organisiertere Fäulnis, das ist der ganze Unterschied! Aber ich bin gerad’ einmal an diese Art des Faulens gewöhnt, der Teufel weiß wie ich mit einer andern zu Recht komme. O Julie! Wenn ich allein ginge! Wenn sie mich einsam ließe! Und wenn ich ganz zerfiele, mich ganz auflöste – ich wäre eine Handvoll gemarterten Staubes, jedes meiner Atome könnte nur Ruhe finden bei ihr. Ich kann nicht sterben, nein, ich kann nicht sterben. Wir müssen schreien, sie müssen mir jeden Lebenstropfen aus den Gliedern reißen.
— III,vii
 


„Der hierunter signalisirte Georg Büchner, Student der Medizin aus Darmstadt, hat sich der gerichtlichen Untersuchung seiner indicirten Theilnahme an staatsverrätherischen Handlungen durch die Entfernung aus dem Vaterland entzogen. Man ersucht deßhalb die öffentlichen Behörden des In- und Auslandes, denselben im Betretungsfalle festzunehmen und wohlverwahrt an die unterzeichnete Stelle abliefern zu lassen.“ — Steckbrief verfaßt von Hofgerichtsrath Georgi, Darmstadt, 13. Juni 1835, gedruckt in Beilage zum Frankfurter Journal, Nr. 166, 18. Juni, dann zweimal im Frankfurter Journal, am 23. und 27. Juni 1835.


Anfang 1835 verfaßte Büchner Dantons Tod, das Stück erschien im selben Jahr zuerst als durch Karl Gutzkow herausgegebener Teilabdruck im Frankfurter Literatur-Blatt von Eduard Dullers Phönix. Frühlings-Zeitung für Deutschland, Nrr. 73, 74, 75, 76, 77, 79, 80, 81, 82 und 83, dann mit anderem Titel Danton’s Tod. Dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft ebenfalls im Verlag von Johann David Sauerländer (1789 – 1869), bei dem auch die Übersetzungen von Victor Hugos Dramen Lucretia Borgia und Maria Tudor erschienen, Sämmtliche Werke, Sechster Band, 1835.


„Ich hatte indessen große Mühe mit seinem Danton. Ich hatte vergessen, daß solche Dinge, wie sie Büchner dort hingeworfen, solche Ausdrücke sogar, die er sich erlaubte, heute nicht gedruckt werden dürfen. Es tobte eine wilde Sanscülottenlust in der Dichtung; die Erklärung der Menschenrechte wandelte darin auf und ab, nackt und nur mit Rosen bekränzt. Die Idee, die das Ganze zusammenhielt, war die rothe Mütze. Büchner studirte Medizin. Seine Phantasie spielte mit dem Elend der Menschen, in welches sie durch Krankheiten gerathen; ja die Krankheiten des Leichtsinns mußten ihm zur Folie seines Witzes dienen. Die dichterische Flora des Buches bestand aus ächten Feld- und Quecksilberblumen. Jene streute seine Phantasie, diese seine übermüthige Satyre. Als ich nun, um dem Censor nicht die Lust des Streichens zu gönnen, selbst den Rothstift ergriff, und die wuchernde Demokratie der Dichtung mit der Scheere der Vorcensur beschnitt, fühlt’ ich wohl, wie grade der Abfall des Buches, der unsern Sitten und unsern Verhältnissen geopfert werden mußte, der beste, nämlich der individuellste, der eigenthümlichste Theil des Ganzen war. Lange zweideutige Dialoge in den Volksscenen, die von Witz und Gedankenfülle sprudelten, mußten zurückbleiben. Die Spitzen der Wortspiele mußten abgestumpft werden oder durch aushelfende dumme Redensarten, die ich hinzusetzte, krumm gebogen. Der ächte Danton von Büchner ist nicht erschienen. Was davon herauskam ist ein nothdürftiger Rest, die Ruine einer Verwüstung, die mich Ueberwindung genug gekostet hat. An dem merkantilischen Titel jedoch: ‚dramatische Bilder aus Frankreichs Schreckensherrschaft‘ bin ich unschuldig. Diesen setzte der Verf. der fortgesetzten Döring’schen Phantasiegemälde darauf. Verklärter Geist, hier wasch’ ich meine Hände in Unschuld!“
— Karl Gutzkow: Ein Kind der neuen Zeit. In: Frankfurter Telegraph. Neue Folge. Nr. 43. Juni 1837.


Im Goethe- und Schiller-Archiv zu Weimar existiert ein eigenhändiges Manuskript aus 21 numerierten Quartbogen mit dem Text, Korrekturen, Änderungen und dergleichen, sowie einem vierseitigen Einlegebogen mit einer nachträglichen Bearbeitung.

« Ce brave George est enthousiaste de liberté. – Il a deux frères qui étudient la médecine. – L’un, plus tard, est devenu l’auteur du livre intitulé: force et matière; (comme si la matière n’était pas une manière d’être de la force) – Lui, George était surtout poëte; il a laissé un beau drame en vers, intitulé: la mort de Danton; et il est mort d’un accident de fièvre cérébrale. »
— Alexis Muston: Journal d’étudiant.
 

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