Mandragora
N. N. / de Halperia:
Kurtze Betrachtung | der | MANDRAGORÆ | oder | Alraun-Wurtzel | des | Fahren-Krauts/ nebſt ſeinem Saamen/ | wie auch | Anderer ſo genannten Magiſcher Kräuter/ | mit einem Judicio | Wie weit man darinn gehen/ und denen viel Erzehlun-|gen davon glauben ſolte. | denen Liebhabern der Magiæ Naturalis zu gefallen/ | und | Zur Verſtöhrung der Abergläubiſchen Meynungen/ | In Zwey Sendſchreiben verfaſſet | und zum Druck befördert. | Signet | Von einem Membro des Collegii Curioſorum | in Teutschland.
„Gedruckt zu Coſmopoli, 1703“, i. e. Leipzig: s. t., 1703.
Octavo. 160 × 98 mm. Gestochenes Frontispiz, 49 (recte 48) Seiten.
Späterer Pappband, die Deckel mit Marmorpapier bezogen.
Das erste Sendschreiben ist auf p. 10 mit „N. N.“ unterzeichnet, das andere p. 39 mit „de Halperia“.
¶ Behandelt „die Tugend und wunderliche Krafft etlicher Magischer Kräuter, inspecie aber Mandragoræ oder Alraun, Filicis oder Fahren-kraut“ sowie die „unterschiedlichen Kräuter, und ihre geheimen Eigenschafften nach Influenz des Gestirns“: Brennessel, Weidrich, Heuchechel, Herba verbascum, Rosmarin, Mandeln, Wohlgemüth, Bethonia, Tausend Güldenkraut, Herba Helion kryson, weiße Stentelwurzel, weiße Lilienwurzel, Narcissen, Hyacinten, Herba nietimeron, Wasserlilie, Klettelwurzel, Persicaria, Eberwurzel, Hollunderblätter, Wegwort, Wallwurzel, Peonienwurzel, Eichenmispel.
Erste Ausgabe. Blake 249. Nicht bei Neu, Hunt, Holzmann/Bohatta – Bibliographien.
Ornamente auf Sarg und Thron des Grabes von Tutanchamun scheinen Mandragora darzustellen, obwohl diese Pflanze zu jener Zeit in Ägypten weder heimisch war, noch kultiviert wurde. Das biblische „dūdaīm“, דודאים, in 1. Mo 30,14–16 und Hld 7,14 soll mit Mandragora identisch sein; es wurde in Bezug zu Fruchtbarkeit verwendet, die deutsche Übersetzung benutzt das Wort Liebesäpfel. Auch „Moly“, μῶλυ, in der Odyssee X,302–306 wird bisweilen mit Mandragora gleichgesetzt, ebenso die „Baraa“ in Flavius Josephus’ Ἱστοϱία Ἰουδαϊϰοῦ πολέμου πϱὸς Ῥωμαίους, die als im Dunkeln leuchtend dargestellt und der exorzistische Wirkung zugeschrieben wird. Plinius in Naturalis historia und Dioscorides in De materia medica beschreiben die Mandragora als „Circaeon“, benannt nach Circe, der mythischen Zauberin, die Männer in sexuell aufgeladene Schweine verwandelte. Griechen und Römer betrachteten die Mandragora als starkes und wertvolles Betäubungs- und Stärkungsmittel, so daß deren Sammler den bei Theophrastos und Plinius aufgeführten strengen Regeln gehorchen sollten.
Die Gattung Mandragora wurde erstmals 1753 von Carl Linnaeus in Species Plantarum von 1753 (Band I, p. 181) verwendet, in der er die mediterrane Art Mandragora officinarum beschreibz.
Das Wort Mandragora mag von persisch mardum-giyah, مردم گیاہ, Pflanzemensch, stammen, dies von altpersisch gayo mertān, dem Namen des ersten Menschen. Möglich ist auch die Herkunft von Sanskrit mandāraka, मन्दारक, Korallenbaum, oder mandārava, मन्दारव, himmlischer Baum bzw. dessen Blüten.
Der Name Alraune für diese Pflanze stammt von althochdeutsch alrūna, dies wohl aus dem weiblichen Personennamen Albrūna wegen der Menschengestalt der Wurzel; dieser Name, lateinisch Albrinia, Aurinia, mit der Bedeutung „die mit Geheimwissen der Alben versehene“ ist in Tacitus: Germania VIII,2 nachweisbar. Jacob Grimm leitet den Namen ebenfalls von dem der altgermanischen Seherin Albruna her, welcher von ahd. alb, ‚Alb, Mahr, Faun‘, und ahd. rūnen, ‚leise sprechen, heimlich flüstern, raunen‘, got. runa, „Geheimnis“, oder nord. run, „Geheimnis, Rune“, rührt.
Die Alraune, welche bereits den Ärzten der Antike und des alten China für ihre narkotischen und anästhetischen Eigenschaften bekannt war, genießt bei Magiern und Zauberern den Ruf, die Liebe dank ihrer aphrodisierenden Eigenschaften zu erwecken und weibliche Sterilität zu heilen. Sie wurde verwendet als Aphrodisiakum, Brech-, Abführ-, Einschläferungs-, Beruhigungs- und Betäubungsmittel, auch als Schmerzmittel bei der Geburt.
Mircea Eliade weist in Die Alraune und die Mythen der wundersamen Geburt🞯 darauf hin, daß es sich bei dem Auftreten von Alraunen häufig um in den Boden gelangtes Blut oder Sperma eines Gottes oder Urzeitriesen handelt, die auf gewaltsame Weise ums Leben gekommen sind. Er führt den Mythos von Gayōmarth, گيومرت, sterbliches Leben, an, welcher mit Adam gleichgesetzt werden kann und der von bösen Geistern getötet wurde: „Als er starb, verließ ein Tropfen Sperma seine Lenden, drang in die Erde und blieb vierzig Jahre dort, bis er eine Flußpflanze hervorbrachte, die sich wiederum in ein menschliches Paar verwandelte.“
Sir Thomas Browne: Pseudodoxia Epidemica or Enquiries into very many received tenents and commonly presumed truths, bk. u. chap vi. pp. 72-74 (in The Works of Sir Thomas Browne, London, 1686)
Jacob Grimm: Deutsche Mythology4 (Berlin: Dümmler, 1875-1878), ii, 1005 sqq., iii, 352 sq.
Felix Liebrecht: Des Gervasius von Tilbury Otia imperialia. Ein Beitrag zur deutschen Mythologie und Sagenforschung (Hannover: Rümpler, 1856), p. 70 note**
Karl Friedrich Adolf Wuttke: Der deutsche Volksaberglaube der Gegenwart2 (Berlin: Wiegand & Grieben, 1869), pp. 98 sq., § 131
Angelo de Gubernatis: La Mythologie des Plantes ou Les légendes du règne végétal. (Paris: Reinwald, 1878-1882), ii. 213 sqq.
Andrew Lang: Custom and Myth (London: Longmans, Green, and Co, 1884), pp. 143 sqq., “Moly and Mandragora”
Hilderic Friend: Flowers and Flower Lore (London, 1886), pp. 291 sqq., 532 sqq., 647
Felix von Luschan, Paul Friedrich August Ascherson, R. Beyer und Johann Gottfried Wetzstein in Verhandlungen der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte, (Berlin: Asher & Co., 1891), pp. (726)-(746), (890)-(892) (appended to the Zeitschrift für Ethnologie, xxiii. 1891)
Pieter Johannes Veth: “De Alruin en de Heggerank,” Internationales Archiv für Ethnographie, vii. (1894) pp. 81-88, 199-205
Frederick Starr: “Notes on the Mandragora”, The American Antiquarian and Oriental Journal, xxiii. (1901) pp. 258-268
Wilhelm Hertz: Gesammelte Abhandlungen herausgegeben von Friedrich von der Leyen (Stuttgart und Berlin: Cotta Nachf., 1905), pp. 273-275
Charles Brewster Randolph: “The Mandragora of the Ancients in Folk-Lore and Medicine”, Proceedings of the American Academy of Arts and Sciences, vol. xl. No. 12, January 1905, pp. 487-537
Edwin Sidney Hartland: Primitive Paternity (London: D. Nutt, 1909), i, pp. 44-47
James Rendel Harris: “The Origin of the Cult of Aphrodite”, The Ascent of Olympus (Manchester: UP, 1917), pp. 107-140.
James George Frazer: Jacob and the Mandrakes, Proceedings of the British Academy, Volume VIII, 1917.
— Quelle: James George Frazer: Folk-lore in the Old Testament: Studies in Comparative Religion, Legend and Law. 1918. I,377, note 2. Die Einträge wurden von mir ergänzt und korrigiert.
Ὣς ἄϱα φωνήσας πόϱε φάϱμαϰον Ἀϱγειφόντης
ἐϰ γαίης ἐϱύσας ϰαί μοι φύσιν αὐτοῦ ἔδειξε.
ῥίζῃ μὲν μέλαν ἔσϰε, γάλαϰτι δὲ εἴϰελον ἄνϑος·
μῶλυ δέ μιν ϰαλέουσι ϑεοί, χαλεπὸν δέ τ’ ὀϱύσσειν
ἀνδϱάσι γε ϑνητοῖσι· ϑεοὶ δέ τε πάντα δύνανται.
Ὀδύσσεια Κ,302-306
So sprach Argeiphontes, und gab mir die heilsame Pflanze,
Die er dem Boden entriß, und zeigte mir ihre Natur:
Ihre Wurzel war schwarz, und milchweiß blühte die Blume;
Moly wird sie genannt von den Göttern. Sterblichen Menschen
Ist sie schwer zu graben; doch alles vermögen die Götter.
Πεϱιγϱάφειν δὲ ϰαὶ τὸν μανδϱαγόϱαν εἰς τϱὶς ξίφει, τέμνειν δὲ πϱὸς ἑσπέϱαν βλέποντα. τὸν δ᾿ ἕτεϱον ϰύϰλῳ πεϱιοϱχεῖσϑαι ϰαὶ λέγειν ὡς πλεῖστα πεϱὶ ἀφϱοδισίων. τοῦτο δ᾿ ὅμοιον ἔοιϰε τῷ πεϱὶ τοῦ ϰυμίνου λεγομένῳ ϰατὰ τὴν βλασφημίαν ὅταν σπείϱωσι. πεϱιγϱάφειν δὲ ϰαὶ τὸν ἐλλέβοϱον τὸν μέλανα ϰαὶ τέμνειν ἱστάμενον πϱὸς ἕω ϰαὶ ϰατευχόμενον· ἀετὸν δὲ φυλάττεσϑαι ϰαὶ ἐϰ δεξιᾶς ϰαὶ ἐξ ἀϱιστεϱᾶς· ϰίνδυνον γὰϱ εἶναι τοῖς τέμνουσιν, ἐάνπεϱ ἐγγὺς ἐπιγένηται ὁ ἀετός, ἀποϑνήσϰειν ἐνιαυτῷ. ταῦτα μὲν οὖν ἐπιϑέτοις ἔοιϰεν, ὥσπεϱ εἴϱηται. τϱόποι δ᾿ οὐϰ εἰσὶ τῶν ῥιζοτομιῶν πλὴν οὓς εἴπομεν.
— Πεϱὶ φυτῶν ἱστοϱία, IX,viii,8.
Thus it is said that one should draw three circles round mandrake with a sword, and cut it with one’s face towards the west ; and at the cutting of the second piece one should dance round the plant and say as many things as possible about the mysteries of love. (This seems to be like the direction given about cummin, that one should utter curses at the time of sowing.) One should also, it is said, draw a circle round the black hellebore and cut it standing towards the east and saying prayers, and one should look out for an eagle both on the right and on the left ; for that there is danger to those that cut, if your eagle should come near, that they may die l within the year. These notions then seem to be irrelevant, as has been said. There are however no methods of root-cutting besides those which we have mentioned.
— Translated by Arthur Hort: Enquiry into Plants. London: Heinemann, 1916. pp. 259-261.
Mandagoras has a root that seems to be a maker of love medicines. There is one sort that is female, black, called thridacias, with narrower, longer leaves than lettuce, with a poisonous, heavy scent, scattered on the ground. Among them are apples similar to service berries — pale, with a sweet scent — in which is seed like a pear. The two or three roots are a good size, wrapped within one another, black according to outward appearance, white within, and with a thick bark; but it has no stalk.
The male is white, and some have called it norion. The leaves are bigger, white, broad, smooth like beet but the apples are twice as big — almost saffron in colour, sweet-smelling, with a certain strength — which the shepherds eat to fall asleep. The root is similar to that above, yet bigger and paler, and it is also without a stalk. The bark of the root is pounded and juiced while it is fresh, and placed under a press. After it is stirred the beaters should bottle it in a ceramic jar. The apples are also juiced in a similar way, but the juice from them becomes weakened. The bark from the root is peeled off, pierced with a thread, and hanged up in storage. Some boil the roots in wine until a third remains, strain it, and put it in jars.
They use a winecupful of it for those who cannot sleep, or are seriously injured, and whom they wish to anaesthetise to cut or cauterize. Twenty grains of the juice (taken as a drink with honey and water) expel phlegm and black bile upward like hellebore, but when too much is taken as a drink it kills. It is mixed with eye medicines, medications to ease pain, and softening suppositories. As much as five grains (applied alone) expels the menstrual flow and is an abortifacient, and put up into the perineum as a suppository it causes sleep. The root is said to soften ivory, boiled together with it for six hours, and to make it ready to be formed into whatever shape a man wants. Applied with polenta, the new leaves are good both for inflammations of the eyes and ulcers. They dissolve all hardnesses, abscesses, glandular tumours [possibly goitre], and tumours. Rubbed on gently for five or six days it defaces scars without ulcerating. The leaves (preserved in brine) are stored for the same uses. The root (pounded into small pieces with vinegar) heals erysipela [streptococcal skin infection], and is used with honey or oil for the strikes of snakes. With water it disperses scrofulous tumours [glandular swelling], goitres and tumours; and with polenta it soothes the pains of the joints. Wine from the bark of the root is prepared without boiling. You must put three pounds (of the bark of the root) into thirteen gallons of sweet wine, and three cupfuls of it is given to those who shall be cut or cauterized (as previously mentioned). For they do not notice the pain because they are overcome with dead sleep; and the apples (inhaled or eaten) are sleep inducing, as is the apple juice. Used too much they make men speechless. A decoction of the seed of the apples (taken as a drink) purges the womb, and given as a pessary with sulphur that never felt the fire it stops the red excessive discharge [menstrual flow]. It is juiced — the root first incised or cut around various ways — and that which runs out is then gathered into a bowl; and the juice is more effective than the liquid. The roots do not bear liquid in every place; experience shows as much. They give out also that there is another sort called morion growing in shady places and around hollows, having leaves similar to the white mandrake but smaller (as it were), twenty centimetres long, white, lying round around the root. This is tender and white, a little longer than twenty centimetres, the thickness of the great finger. They say as much as a teaspoon of a decoction of this (taken as a drink or eaten with polenta in placetum, or food that is eaten with bread), will infatuate [cause unconsciousness]. For a man sleeps in the same fashion as when he ate it (sensible of nothing for three or four hours) from the time that it is brought him. And physicians also use this when they are about to cut or cauterize [anaesthetic]. They say also that a decoction of the root (taken as a drink with strychnos manicum) is an antidote. It is also called antimelon, dircaea, circea, circaeum, xeranthe, antimnion, bombochylon, or minon; the Egyptians call it apemum, Pythagoras, anthropomorphon, some, aloitin, thridacian, or cammaron; Zoroastres calls it diamonon, or archinen, the Magi, hemionous, some, gonogeonas, the Romans, mala canina, and some, mala terrestria.
Πεϱὶ ὕλης ἰατϱιϰῆς, De materia medica, IV,76, translated by Tess Anne Osbaldeston, based on the translation of John Goodyer: The Greek Herbal of Dioscorides, 1655.
Callimaco Voi avete ad intender questo, che non è cosa più certa ad ingravidare una donna che dargli bere una pozione fatta di mandragola. Questa è una cosa esperimentata da me dua paia di volte e trovata sempre vera, e se non era questo, la reina di Francia sarebbe sterile, ed infinite altre principesse di quello Stato.
— Mandragola II,6
Callimaco Ihr müßt wissen, es gibt nichts, wovon eine Frau sicherer schwanger wird als von einem Trank, der von Mandragola gemacht wird. Das habe ich zwei dutzendmal vesucht und immer bewährt gefunden. Ohne dies Mittel würde die Königin von Frankreich unfruchtbar geblieben sein, wie auch unzählige andere Prinzessinnen dieses Landes.
— Übersetzt von Paul Heyse.
Juliet Alack, alack, is it not like that I,
So early waking, what with loathsome smells,
And shrieks like mandrakes’ torn out of the earth,
That living mortals, hearing them, run mad —
Romeo and Juliet, IV,3
Cleopatra Ha, ha! Give me to drink mandragora.
Charmian Why, madam?
Cleopatra That I might sleep out this great gap of time
My Antony is away.
Antony and Cleopatra, I,5
Iago Look, where he comes. Not poppy, nor mandragora,
Nor all the drowsy syrups of the world,
Shall ever medicine thee to that sweet sleep
Which thou ow’dst yesterday.
Othello, the Moor of Venice, III,3
Es ist Sage, daß, wenn ein Erb-Dieb, dem das Stehlen durch Herkunft aus einem Diebs-Geschlecht angeboren ist, oder dessen Mutter, als sie mit ihm schwanger ging, gestolen, wenigstens groß Gelüsten dazu gehabt, (nach andern, wenn er zwar ein unschuldiger Mensch, in der Tortur aber sich für einen Dieb bekennt) und der ein reiner Jüngling ist, gehenkt wird und das Wasser läßt (aut sperma in terram effundit), so wächst an dem Ort der Alraun oder das Galgen-Männlein. Oben hat er breite Blätter und gelbe Blumen. Bei der Ausgrabung desselben ist große Gefahr, denn wenn er herausgerissen wird, ächzt, heult und schreit er so entsetzlich, daß der, welcher ihn ausgräbt, alsbald sterben muß. Um ihn daher zu erlangen, muß man am Freitag vor Sonnen-Aufgang, nachdem man die Ohren mit Baumwolle, Wachs oder Pech wohl verstopft, mit einem ganz schwarzen Hund, der keinen andern Flecken am Leib haben darf, hinausgehen, drei Kreuze über den Alraun machen und die Erde rings herum abgraben, so daß die Wurzel nur noch mit kleinen Fasern in der Erde stecken bleibt. Darnach muß man sie mit einer Schnur dem Hund an den Schwanz binden, ihm ein Stück Brot zeigen und eilig davon laufen. Der Hund, nach dem Brot gierig, folgt und zieht die Wurzel heraus, fällt aber, von ihrem ächzenden Geschrei getroffen, alsbald todt hin. Hierauf nimmt man sie auf, wäscht sie mit rothem Wein sauber ab, wickelt sie in weiß und rothes Seiden-Zeug, legt sie in ein Kästlein, badet sie alle Freitag und gibt ihr alle Neumond ein neues weißes Hemdlein. Fragt man nun den Alraun, so antwortet er und offenbart zukünftige und heimliche Dinge zu Wohlfahrt und Gedeihen. Der Besitzer hat von nun an keine Feinde, kann nicht arm werden und hat er keine Kinder, so kommt Eheseegen. Ein Stück Geld, das man ihm Nachts zulegt, findet man am Morgen doppelt; will man lang seines Dienstes genießen und sicher gehen, damit er nicht abstehe oder sterbe, so überlade man ihn nicht, ein halben Thaler mag man kühnlich alle Nacht ihm zulegen, das höchste ist ein Dukaten, doch nicht immer, sondern nur selten.
Wenn der Besitzer des Galgen-Männleins stirbt, so erbt es der jüngste Sohn, muß aber dem Vater ein Stück Brot und ein Stück Geld in den Sarg legen und mit begraben lassen. Stirbt der Erbe vor dem Vater, so fällt es dem ältesten Sohn anheim, aber der jüngste muß eben so schon mit Brot und Geld begraben werden.
— Deutsche Sagen, I,83.
Alraun, Albraune, Mandragora — auch Mandragola genannt, — Mandragora officinarum. Eine Pflanze, die zu den Solanazeen gehört, sie findet sich um das Mittelmeerbecken, dann in Südosteuropa und in Asien bis hin zum Himalaja. Blätter und Blüten halten ein Narkotikum, wurden früher häufig als Schlafmittel benutzt, auch geradezu bei Operationen verwandt von der berühmten Aerztehochschule zu Salerno. Auch rauchte man die Blätter und gab die Früchte in Liebestränke. Sie sollten zur Wollust reizen und dabei fruchtbar machen. Schon Jakob machte damit seinen kleinen Schwindel bei Labaans Herden: Dudaim nennt das Pentateuch die Pflanze. Aber die Hauptrolle in der Sage spielt die Wurzel. Ihre seltsame Aehnlichkeit mit einem alten Männlein oder Weiblein erwähnt bereits Pythagoras; schon zu seiner Zeit glaubte man sich mit ihr unsichtbar machen zu können, verwandte sie als Zaubermittel oder auch umgekehrt als einen Talisman gegen Hexerei. Im frühen Mittelalter, im Anschluss an die Kreuzzüge, entwickelte sich dann die deutsche Alraunsage. Der Verbrecher, splinternackt am Kreuzwege gehenkt, verliert in dem Augenblicke, in dem das Genick bricht, seinen letzten Samen. Dieser Samen fällt zur Erde und befruchtet sie: aus ihm entsteht das Alräunchen, ein Männlein oder Weiblein. Nachts zog man aus, es zu graben; wenn es zwölf Uhr schlug, musstc man die Schaufel unter dem Galgen einsetzen. Aber man tat wohl, sich die Ohren fest zu verstopfen, mit Watte und gutem Wachs, denn wenn man das Männlein ausriss, schrie es so entsetzlich, dass man niederfiel vor Schreck — noch Shakespeare erzählt das. Dann trug man das Wurzelwesen nach Hause, verwahrte es wohl, brachte ihm von jeder Mahlzeit ein wenig zu essen und wusch es in Wein am Sabbathtage. Es brachte Glück in Prozessen und im Kriege, war ein Amulett gegen Hexerei und zog viel Geld ins Haus. Machte auch liebenswert den, der es hatte, war gut zum Wahrsagen und brachte den Frauen Liebeszauber, dazu Fruchbarkeit und leichte Niederkünfte. Aber bei alledem schuf es doch Leid und Qualen, wo immer es war. Die übrigen Hausbewohner wurden verfolgt vom Unglück, und es trieb seinen Besitzer zu Geiz, Unzucht und allen Verbrechen. Liess ihn schliesslich zugrunde gehen und zur Hölle fahren. — Trotzdem waren die Alräunlein sehr beliebt, kamen auch in den Handel und erzielten recht hohe Preise. Man sagt, dass Wallenstein zeit seines Lebens ein Alräunchen mit sich herumschleppte, und dasselbe erzählt man von Heinrich dem Achten, Englands heiratstüchtigem Könige.
— Alraune. Die Geschichte eines lebenden Wesens. München: Georg Müller, 1911. pp. 52-53.